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Zwischen elterlicher Fürsorge und Kontrollwahn: Wie empfehlenswert sind Kontroll-Apps?

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  • Kindergarten & Schule
Das Internet wimmelt nur so von App-Angeboten, um die Smartphone-Nutzung der eigenen Kinder zu beobachten und zu kontrollieren – und der Markt mit der elterlichen Angst boomt. Viele Eltern sind bereit, viel Geld für die Sicherheit ihres Kindes im Internet zu zahlen. Doch wie ratsam ist es, die Kinder per Smartphone zu überwachen? 

Ob zum Spielen, Surfen und Chatten – Kinder verbringen immer mehr Zeit am Handy. Eltern und Erziehungsberechtigte hingegen bleiben meist im Unklaren darüber, wie das Kind seine Zeit am Smartphone eigentlich nutzt. Hinzu kommt, dass viele Erziehungsberechtigte den Anschluss an die sich rapid verändernde Medienwelt verlieren und schlichtweg nicht wissen, welche Gefahren, aber auch Chancen die von den Kindern genutzten Apps mit sich bringen. 

Gleichzeitig ist die Herausforderung groß, seinen Schützlingen auch im Netz genügend Sicherheit zu bieten, denn dass das Internet keine sichere Plattform für Kinder ist, wird täglich unter Beweis gestellt: Immer wieder werden Fälle von Kostenfallen, Cybermobbing oder gar Kinderpornographie publik. Das führt oftmals dazu, dass Erziehende zu Maßnahmen wie Chat- oder Browserkontrollen greifen, die die Privatsphäre der Kinder deutlich einschränken. Überwachungs-, Kontroll- und Jugendschutzapps versprechen schließlich die Sicherheit, die sich viele Erziehungsberechtigte im Hinblick auf die Mediennutzung ihrer Kinder so sehr wünschen.


Sicherheit auf Kosten der Privatsphäre? 

Ob Zeitvorgaben, Tracking- oder gar Wanzenfunktionen – das Angebot an solchen Kontroll-Apps scheint grenzenlos. Jugendschutzapps beispielsweise versprechen Schutz vor Gefahren im Internet durch Filter, die illegale und nicht-jugendfreie Inhalte ausblenden, während Funktions-Apps wie die App „Quality-Time“ oder die „Menthal-App“ der Universität Bonn die vor dem Bildschirm verbrachte Zeit auswerten. Sogenannte Tracking-Apps ermöglichen wiederum die vollständige Überwachung der eigenen Kinder durch Standortüberwachung oder sogar Voice Monitoring und stellen damit einen erheblichen Einschnitt in die Privatsphäre des Kindes dar.


Stichwort Datendiebstahl – Forscher warnen vor digitalen Sicherheitslücken

Auch aufgrund gravierender Sicherheitslücken steht die Nutzung von Überwachungsapps in Frage. Laut einer qualitativen Studie des Fraunhofer Instituts im Jahr 2018 war keine der, in der Studie untersuchten Tracking-Apps sicher programmiert. Cyber-Angreifer hätten demnach die Möglichkeit, private Daten ganz einfach auszulesen, Bewegungsprofile zu erstellen, Chats zu lesen sowie die Bilder und Videos anzusehen. 

Doch auch vor der Speicherung persönlicher Daten zu gewerblichen Zwecken sollten sich Nutzer dieser Apps vorsehen: Wie eine Studie der Oxford Universität 2018 herausfand, wurden insbesondere in Kinder-Apps Werbetracker genutzt – knapp 92 Prozent der untersuchten Kinder- und Familien-Apps wiesen Werbetracker auf. Diese ermöglichen es, das Nutzerverhalten von Smartphone-Nutzern und -Nutzerinnen zu speichern und diese Erkenntnisse an Werbetreibende weiterzuverkaufen. Da, durch den Betrieb der App, entstehende Serverkosten immer auch refinanziert werden müssen, sollten kostenlose Angebote besonders angezweifelt werden. Eltern sollten sich daher vor Einsatz solcher Apps intensiv mit dem Angebot auseinandersetzen und auch prüfen, welche Funktionen wirklich nutzenbringend für eine sichere und vertrauensvolle Begleitung der Kinder im Umgang mit der Medienwelt sein können. 
 

Totale Kontrolle?

Doch inwiefern können Kontroll-Apps auch hilfreich für die Erziehung von Kindern sein und wie begleite ich ihre Mediennutzung am besten? Wir haben dazu mit der Medienpädagogin Kerstin Langer von der Initiative „SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht" gesprochen. Kerstin Langer, selbst Mutter einer Tochter, hat langjährige Erfahrungen im Bereich der Elternarbeit und weiß, worauf es bei der elterlichen Betreuung der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen ankommt. 


Frau Langer, das Internet wimmelt nur so von App-Angeboten, um die Smartphone-Nutzung der eigenen Kinder zu beobachten und zu kontrollieren. Was halten Sie davon? 
Allgemein würde ich von Allem abraten, was die Selbständigkeit des Kindes einschränkt. Natürlich spielen die verschiedenen Altersgruppen eine Rolle bei dieser Frage, wobei sich generell zeigt, dass die meisten Kinder im Alter von acht bis zehn Jahren mit der Smartphone-Nutzung anfangen, wie diverse Statistiken feststellen. Mit der „digitalen Nabelschnur“ – also allen technischen Hilfsmitteln, die das Kind davon entbinden, nachzudenken, tut man sich als Elternteil langfristig keinen Gefallen. Weitere Informationen unter: www.schau-hin.info

Welche Funktionen halten Sie für sinnvoll und von welchen raten Sie lieber ab?
Auch hier rate ich wieder von allen Funktionen ab, die das Kind in ihrer Selbständigkeit einschränken. Eltern nutzen diese Apps und ihre Trackingfunktionen meist eher zur eigenen Sicherheit. Aber bringt das unser Kind wirklich weiter? Auch wir Erwachsenen würden es schließlich nicht mögen, 24/7 kontrolliert zu werden. Ein System, das sich bereits vor der Existenz der digitalen Welt bewährt hat, sind klare Verabredungen und Regeln, die im regelmäßigen Austausch mit dem Kind getroffen werden!Denn meist bringt diese Vollüberwachung nicht mehr Sicherheit, sondern beunruhigt Eltern vielmehr. Angst und Kontrolle hingegen schränkt den Sohn in seiner eigenen Entwicklung ein und hält ihn davon ab, eigenständig zu werden. Dazu gehört aber auch Vertrauen, das die Basis für eine gute Eltern-Kind-Beziehung schafft.

Gibt es Kontroll-Apps, die Sie empfehlen würden – aus medienpädagogischer Sicht?
Sobald die Mediennutzung des Kindes Anlass verleiht, dass Eltern und Kind ständig aneinandergeraten, kann man Funktions-Apps, die die zeitliche Nutzung festhalten, durchaus dafür nutzen, diese Konfliktsituationen zu veranschaulichen. Mit solchen Apps kann man dann gemeinsam mit dem Kind den Test machen: Wie häufig nutze ich mein Smartphone und für welche Apps investiere ich diese Zeit? Schließlich ist es für eine mündige Mediennutzung wichtig zu wissen, welche Medien genutzt werden und aus welchem Grund heraus. Dann fällt auch dem Kind auf, wenn es Medien zu häufig beziehungsweise zu einseitig gebraucht. Generell sollte man aber immer mit dem Kind reden und auch sich selber miteinschließen, nicht zuletzt nehmen wir als Elternteile eine wichtige Vorbildfunktion ein, indem unsere Kinder durch das Nachahmen unserer Verhaltensmuster und Nutzungsweisen von uns lernen. 

Wo liegt das gesunde Maß bei der Überwachung meiner Kinder? 
Zunächst: Eine regelmäßige Smartphone-Nutzung beginnt meist im Alter von elf bis zwölf Jahren, also auch dann, wenn die Kinder die Konsequenzhaftigkeit ihres eigenen Handelns begreifen und zudem die Basics der Mediennutzung beherrschen. Dies ist jedoch auch das Alter der Pubertät, also eine Zeit der Kinder, in der Eltern damit rechnen müssen, dass ihre Kinder Ihnen nicht alles zeigen möchten und bestimmte Dinge – so auch Überwachung durch Apps und Co. – ablehnen. Dann ist es wichtig, dass man als Elternteil bereits die Grundpfeiler einer kompetenten Medienkompetenz gelegt hat und natürlich auch Vertrauen zum Kind besitzt – Ein Vertrauen, dass in alle Lebenslagen hineinreicht. Grundsätzlich sollte man daher alle Hilfsmittel zur Überwachung der Handynutzung in Vorhinein mit dem Kind absprechen und keinesfalls sein Vertrauen missbrauchen sowie die Grenzen des Kindes auch akzeptieren.

Ich möchte Jugendschutzapps zuhause einführen. Wie binde ich diese am besten in den Alltag meiner Kinder mit ein?
Zunächst einmal sollte man über mögliche Risiken und Gefahren ganz offen sprechen. Kinder müssen also von Anfang an wissen, dass sie nicht selbst schuld sind, wenn sie einmal auf bedenklichen beziehungsweise nicht-jugendfreien Seiten landen. Und sie müssen lernen, trotzdem darauf aufzupassen, dass so etwas nicht geschieht. Viele Eltern sehen ihre Aufgabe darin, ihr Kind vor diesen Gefahren zu schützen. Da können Internetfilter hilfreich sein, doch zu hundert Prozent ist niemand davor gefeilt.

Wie kann ich auch ohne die Nutzung von Überwachungsapps die Smartphone-Nutzung meines Kindes im Blick haben und kontrollieren?
Neben digitalen Einstellungen kann man zum Beispiel auch am eigenen Router Einstellungen vornehmen, der die Nutzung zeitlich einschränkt. Nicht zuletzt ist hier aber der ehrliche Austausch zwischen Eltern und Kindern wichtig, der in erster Linie auf Vertrauen basiert. Eltern sollten sich nicht berufen fühlen, alles über ihr Kind zu wissen, sondern es  „im Blick“ zu haben. Gerne kann man seinem Kind natürlich mitteilen, „ich würde das jetzt gerne wissen“, doch sollte man es auch verstehen, wenn ein Kind nicht mit den Eltern darüber reden möchte oder sich noch nicht bereit fühlt, das zu tun. Wir als Erwachsene möchten ja auch nicht über alles sprechen. 

Stichpunkt Medienkompetenz: Wie bringe ich meinem Kind dann am besten bei, mit Online-Risiken und deren möglichen Folgen umzugehen? Reichen Jugendschutz- und Überwachungsapps da aus? 
Nein. Jugendschutz- und Überwachungsapps können zwar Helfer sein, entbehren aber niemals vor Verantwortung der Eltern. Oft versagen sie durch technische und digitale Lücken, die durch die Sache des Internets selbst verschuldet sind – Stichwort: Die Notwendigkeit von Updates. Wichtig ist es hingegen, als Elternteil Vorbild zu sein und damit Ehrlichkeit und Vertrauen auch in Krisensituationen aufzubringen. Gerade wenn es um das Stichpunkt Mobbing geht, ist es wichtig zu signalisieren: „Egal was auch passiert, du kannst immer zu mir kommen.“ Natürlich ist man in dieser Situation als Elternteil herausgefordert, sich die Situation sachlich zu Gemüte zu führen und dann weitere Schritte einzuleiten, die dem Kind guttun. 

Mein Kind ist zu oft und zu lange am Handy. Wie gehe ich das Thema am besten an? 
Hier hilft es zunächst, die exzessive Nutzung erst einmal sachlich festzustellen, zum Beispiel mit einer App, mit der Kinder und auch die Eltern die am Handy verbrauchte Zeit einsehen können. Bei wirklich übermäßiger Nutzung muss man dann aber auch die Motive und Motivationsfaktoren herausfinden, warum das Kind die Medien so häufig genutzt werden. 

Ich habe das Gefühl, mein Kind verheimlicht mir etwas, die Nutzung seines Handys betreffend. Sollte ich da nicht lieber zu Überwachungs-Software greifen?
Das Verheimlichen zeigt, dass im sozialen Bereich Schieflagen liegen. Wenn man also als Elternteil bemerkt, dass das Kind etwas verheimlicht, dann sollte man als Elternteil den Mut haben, das anzusprechen, aber auch zu sagen: „Egal was passiert, ich bin auf deiner Seite, auch wenn es mir nicht passt.“ Wird hingegen bei Verstößen gleich mit Strafe gedroht, ist es letztlich kein Wunder, dass die Kinder sich nicht öffnen wollen. Daher ist es wichtig, solche Situationen vorzubeugen, indem man in der Familie ein ehrliches und vertrauensvolles Klima aufbaut.  
 

App-Tipps

Das Angebot an Kontroll-Apps für Kinder und Jugendliche boomt. Auch wir haben uns umgesehen und stellen fünf Apps vor, die mithilfe verschiedener Funktionen die Mediennutzung unserer Kinder begleiten. 

Internetfilter: FragFINN
Hinter der Kinderschutz-App FragFINN verbirgt sich ein Browser, mit dem nur auf Webseiten gesurft werden kann, die vorher von Medienpädagogen geprüft und auf eine Whitelist gesetzt wurden. Ergänzend stellen die Betreiber im regelmäßigen Wechsel besondere Angebote und interessante Linktipps vor. Sicherheitseinstellungen am Smartphone und Tablet ermöglichen weitere Absicherung, so beispielsweise durch das Sperren anderer Browser oder sogar bestimmter Apps. Der kindersichere Browser empfiehlt sich besonders für Kinder von 6 bis 12 Jahren. Die App ist zudem völlig kostenlos im Google Store erhältlich. 

Zur Selbsteinschätzung: WhatsOn 
WhatsOn ist eine App der Ginko Stiftung für Prävention für alle Smartphone-Nutzer ab 12 Jahren zur Überprüfung der eigenen Einschätzung seiner Mediennutzung. Nach der Installation beginnt man zunächst mit der Beantwortung der Frage „Wie riskant ist der eigene Umgang mit Medien“ zur Selbsteinschätzung. Im Anschluss daran beantwortet man bei verschiedenen Fragen die Details seiner Mediennutzung: Was hält man vom Zocken oder nutzt man das Smartphone auch beim Essen und Schlafengehen? Die gewählten Antworten geben am Ende Aufschluss darüber, ob sich einerseits die Selbsteinschätzung bestätigt und inwiefern der eigene Umgang mit den Medien risikobehaftet ist. Anhand der Antworten erfolgt die Einordnung in neun Nutzer-Typen, die das Risikoverhalten im Umgang mit Medien charakterisieren. Die App steht kostenlos im Google Play Store zur Verfügung, kann aber auch im Browser und als Facebook-App genutzt werden. 

Überprüfung der eigenen Handynutzung: Menthal-App 
Die Menthal-App der Universität Bonn zeichnet die tägliche Smartphone-Nutzung auf und gibt damit detaillierte Einblicke in unser Mediennutzungsverhalten. Mithilfe verschiedener persönliche Statistiken behält man den Überblick über die am häufigsten genutzten Apps, die Anzahl der Anrufe und SMS sowie die Anzahl der Bildschirmaktivierungen. Zudem berechnet die App täglich einen durchschnittlichen Nutzungswert zwischen 0 und 100 - Je höher die Smartphone-Nutzung, desto höher der Wert. Die Menthal-App ist für alle Android-Handys im Google Play Store und auf www.menthal.org verfügbar.

Für die Smartphone-Pause: Quality-Time
Mithilfe der App Quality-Time kann man nicht nur die verbrachte Zeit am Handy in Echtzeit nachvollziehen, indem sehr detailliert über die Gesamtnutzungszeit sowie über die Nutzung einzelner Anwendungen Buch geführt wird. Besonders hilfreich ist die Möglichkeit, sich selbst zeitliche Einschränkungen zu setzen und mithilfe von Alarmen und eingeplanten Pausen exzessive Mediengewohnheiten sehr einfach in den Griff zu bekommen. Über individuelle Nutzerprofile können außerdem Benachrichtigungen blockiert oder eingehende Anrufe mit automatischen Text-Nachrichten ablehnt werden, es lassen sich aber auch Ausnahmen für wichtige Kontakte schaffen. Die App ist als Android App kostenfrei im Google Play Store erhältlich. 

Die Komplettüberwachung: Screen Time
Mit der App Screen-Time haben Eltern die Mediennutzung ihrer Kinder stets im Blick. Erziehungsberechtigte erhalten tägliche Berichte über die Nutzungszeiten des Kindes und können zumindest bei Android-Handys die Internet- und Suchverläufe auf einem Gerät pro Kind einsehen. Leider sind erst mit dem Kauf der Premiumversion als Abonnement (4,49 € im Monat) alle Inhalte nutzbar, so auch Zeitlimits und Zeitpläne, mit denen man Zeiträume wie Schlafenszeit oder Hausaufgabenzeit festlegen kann, damit die Kinder in dieser Zeit nicht abgelenkt sind. Auch Browserverläufe lassen sich dann unkompliziert einsehen. Mit der Vollversion erhält man somit quasi die vollständige Kontrolle über die Handyaktivität des Kindes. Nicht zuletzt aufgrund des recht hohen Preises sollten sich Eltern daher zweimal überlegen, ob so viel Kontrolle wirklich nötig ist. Die App ist für alle Handys mit Android im Google Play Store sowie für alle IOS-Geräte im ITunes App Store erhältlich. 

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