Ab welchem Alter kann man von Mediensucht sprechen - und wie verbreitet ist sie bei Kindern?
Bis zum Alter von 6 Jahren würde man in keinem Fall von einer Abhängigkeit sprechen, sondern vielmehr von einer mangelnden Medienregulation, welche dem Alter entspricht. In der Grundschulzeit können sich die ersten auffälligen Nutzungsmuster etablieren. Es handelt sich jedoch vielmehr um ein Risikoverhalten. Erst mit fortschreitendem Jugendalter (Pubertät) spricht man von einer Sucht. Nahezu jeder 7. in der Altersgruppe von 12 bis 17 Jahren leidet unter einer kritischen Mediennutzung. Die Realität zeigt, wie verwachsen die Medien bereits mit Jugendlichen sind. Die OECD Studie fand heraus, dass deutsche Jugendliche im Alter von 15 Jahren im internationalen Vergleich länger an den Medien sind: knapp 7 Stunden pro Tag.
Woran erkennen Eltern oder Lehrkräfte, dass ein Kind medienabhängig ist?
Ein Warnsignal ist nicht unbedingt die Anzahl der Stunden vor dem Bildschirm – sondern vor allem die Verlustkontrolle. Wenn Kinder nicht mehr aufhören können, obwohl sie das eigentlich möchten, oder wenn andere Lebensbereiche wie Schule, Hobbys oder Freundschaften spürbar leiden, sollten Eltern und Lehrkräfte hellhörig werden. Auch Rückzug, Gereiztheit ohne Medienzugang oder Lügen über die Nutzungsdauer sind typische Anzeichen. Ich habe schon mit Kindern gesprochen, die nachts aufstehen, um heimlich weiterzuspielen – da geht es nicht mehr um Freizeit, sondern um ein inneres Muss.
Welche körperlichen und psychischen Folgen kann eine exzessive Mediennutzung bei Kindern haben?
Die Liste ist lang - und ich sehe diese Auswirkungen sowohl in Beratungen mti Eltern als auch in der Reflexion mit Kindern direkt an den Schulen. Körperlich beobachten wir z.B. Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Haltungsschäden und Bewegungsmangel. Manche Grundschulkinder sagen uns im Workshop, dass sie "so müde sind, weil sie nachts YouTube schauen" - ganz selbstverständlich.
Psychisch zeigen sich oft Unruhe, Reizbarkeit, ein erhöhter Stresspegel oder depressive Verstimmungen. Das besonders Gefährliche: Viele Kinder können sich gar nicht mehr richtigen entspannen ohne Bildschirm. Sie haben das Gefühl, offline nichts zu verpassen - obwohl genau das Gegenteil der Fall ist.
Welche Ursachen begünstigen die Entwicklung einer Mediensucht bei Kindern?
Mediensucht ist kein „Luxusproblem“ verwöhnter Kinder – sondern oft ein Kompensationsversuch. Wenn ein Kind offline keine Erfolge erlebt oder sich nicht gesehen fühlt, sucht es Bestätigung online – durch Likes, durch Siege im Spiel, durch digitale Zugehörigkeit. Dazu kommen die perfiden Mechanismen vieler Apps und Games: Streaks, Lootboxen, Sofortbelohnungen. Es braucht Aufklärung und Alternativen, nicht nur Regeln. Wenn Familien zu mir kommen und es um kritische Mediennutzung geht, dann liegen meistens andere Ursachen unter dem verhalten. Das können Stresssituationen bis hin zu Traumata, wie zum Beispiel der Verlust von geliebten Menschen sein. Diese Themen gilt es aufzuarbeiten, damit der Sog in die Medien nicht mehr so stark ist.
Welche Rolle spielt das Verhalten der Eltern im Umgang mit Medien - als Vorbild oder Risiko?
Kinder lernen nicht durch Regeln, sondern durch das, was sie sehen. Wenn Papa jeden Abend auf dem Sofa TikTok schaut oder Mama beim Essen aufs Handy schaut, dann wirken App-Sperren auf das Kind wie Doppelmoral. Es geht nicht darum, perfekt zu sein – sondern um Bewusstheit. Eltern können sich fragen: Was lebe ich meinem Kind eigentlich vor? Und vor allem: Wie sprechen wir in der Familie über Medien?
Wie können Eltern den Medienkonsum ihrer Kinder sinnvoll regulieren, ohne in permanente Konflikte zu geraten?
Ein zentraler Punkt in meiner Arbeit ist: Regeln entfalten nur Wirkung, wenn sie auf Beziehung basieren. Ich empfehle Eltern, regelmäßig Mediengespräche zu führen – ähnlich wie ein Familien-Check-in: Was funktioniert gut? Wo brauchen wir Veränderungen?
Viele Familien, die ich begleite, erleben einen echten Wandel, wenn sie Verbindlichkeit und Mitgestaltung zusammenbringen. Also nicht: „Ab heute nur noch 30 Minuten!“, sondern: „Wie können wir unsere Medienzeiten so gestalten, dass sie uns guttun?“ Und: gemeinsame Offline-Zeiten schaffen, in denen echte Verbindung entsteht. Das ersetzt viele Debatten.
Welche Maßnahmen sind präventiv besonders wirksam, um einer Mediensucht vorzubeugen?
Eltern können viel tun: Klare Strukturen im Alltag, bildschirmfreie Zeiten und vor allem: echtes Interesse an dem zeigen, was das Kind online macht. In meinen Beratungen empfehle ich zusätzlich kleine Rituale, wie ein gemeinsames „Digital-Detox-Wochenende“ oder das Führen eines Medientagebuchs. Es sind oft die kleinen Schritte, die langfristig den Unterschied machen.
Zusätzlich begleite ich Eltern über unsere Wissensplattform, auf der ich regelmäßig Impulse und praxisnahe Hilfestellungen teile – immer mit dem Ziel, Familien zu stärken, nicht zu überfordern. Dort finden auch monatliche Sprechstunden zum Thema Mediensucht statt, in denen konkrete Fragen geklärt und individuelle Tipps gegeben werden. Wer Interesse hat, findet alle Infos unter: https://www.skool.com/elternsprechstunde.

Wer ist Florian Buschmann?
Florian Buschmann ist Psychologe (B.Sc.), Fachautor und Gründer der bundesweiten Präventionsinitiative OFFLINE HELDEN. Was ihn auszeichnet, ist nicht nur seine fachliche Expertise – sondern auch seine persönliche Geschichte: Als Jugendlicher hat er selbst erlebt, wie schnell digitale Medien zur Flucht und zum Problem werden können. Genau daraus ist seine heutige Mission entstanden: Kinder, Eltern und Schulen im Umgang mit digitalen Medien praxisnah und alltagstauglich zu begleiten.
Mit seinem Team führt er jährlich über 500 Schulprojekte mit 13.000 Teilnehmern durch – in Grundschulen und weiterführenden Schulen. Dabei erreicht er mehr als 13.000 Teilnehmende pro Jahr. Parallel dazu berät er Familien individuell bei Fragen zu Mediensucht, Regelsetzung, Umgang mit Konflikten oder auch bei akuten Krisen rund um Bildschirmnutzung.
Seine Arbeit ist geprägt von einem klaren Grundsatz: Es geht nicht um Kontrolle – sondern um Verbindung.